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Dienstag, 18. Mai 2004


Eine Wiese.

Malaeika: Wie schön es hier ist.

Rietpitsch: Ich komme jeden Donnerstag hierher. Seit vierhundertdreißig Jahren. Zum ersten Mal nicht allein. Sehen Sie dort? Das ist Wenzel. In seinem Schatten lässt sich schlafen, wie sonst nirgendwo auf der Welt - tief in ihr und fern von ihr. Bei der Welteichenwahl gewann Wenzel bereits drei Mal. Das ist sonst keiner Eiche jemals gelungen. Ach! Und das ist Hans. Hans ist der einzige Hase mit Esperanto-Kenntnissen hierzulande. Sehr begnadet und gefragt, seitdem die Gräser auf dem Gräserkongress 98' entschieden haben, zwecks Verständigung innerhalb dieser bunten Gemeinschaft nur noch Esperanto zu sprechen. Nur die Wiener-Gräser waren übrigens dagegen, weil sie unbedingt meinten, das Wienersche würde ihnen gewaltige Vorteile bei der Fortpflanzung verschaffen.

Während Rietpitsch spricht, schiebt Malaeika ihre Hände unter die Träger ihres Rucksacks. Das entlastet die Schultern. Mehrmals atmet sie so schnell wie vor einem großen Satz.

Malaeika: Verzeih, ich verstehe das nicht.

Hans: Kiel vi vartas?

Rietpitsch: Können Sie denn auch bauchrednern?

Malaeika zeigt, was sie kann: Sich aus dem Stand auf den Boden zu setzen, ohne Zuhilfenahme der Hände.

Rietpitsch: Sie sind weniger gesprächig, als ich dachte.

Malaeika: Du. Ich kann nicht bauchreden.

Rietpitsch: Was können Sie?

Malaeika: Das übliche. Und ich kann Obstbäume veredeln und richtig zuschneiden, ich kann Spaliere setzen und Bohnenstangen, ich kann Tomaten ziehen und Spargel stechen. Ich kann Klavierspielen. Ich kann Salsa tanzen und Mazurkas und Tarantellas. Ich kann zwei Kartons Rotwein aus ihrem Keller in die Wohnung ihrer Nachbarin tragen. Ich kann Bilder gerade hängen. Ich kann Knöpfe annähen, auch als Augen bei Teddybären. Ich kann mich gut mit mir selbst beschäftigen. Ich kann das Fernsehproramm des Bezirksfernsehens auswendig aufsagen, sogar im Schlaf. Ich kann Schifahren und Weitspringen besser als Handballspielen. Ich kann mit einer Schrotflinte umgehen. Ich kann Sensen. Wollen wir? Was wollen wir?

Rietpitsch: Das mit den Sensen dürfen Sie nichts zu scharf sehen. Ich komme hierher seit Jahren also, habe allerdings noch nie auch nur ein Grashalm geschnitten. Es ist die Möglichkeit, es tun zu können, jederzeit, die mich reizt. Also sitze ich hier und sehe wörtlich dem Gras beim Wachsen zu. Das hat etwas Meditatives. Darunter verstehe ich nichts Esoterisches, sondern den gelebten Konjunktiv. Jeden Tag etwas tun hätten. Freitags, zum Beispiel, kaufe ich mir vier verschiedene Zeitungen. Niemals habe ich aber mehr gelesen, als das, was mir beim zufälligen Blick auf die Titelseite begegnet ist.

Malaeika streckt den rechten Fuß von sich, der linke bleibt angewinkelt. Ihr rechter Fuß hat eine Art Fühleraktion, doch das wissen sie und Rietpitsch gar nicht. Malaeika denkt nach. Nur um Sekunden zeitversetzt beginnt sie leise und unsicher zu sprechen.

Malaeika: Um den Konjunktiv zu leben, brauchst du dir die Zeitungen gar nicht erst zu kaufen. Es müsste schon die Möglichkeit genügen, dass es Zeitungen gibt, dass es die Müngensdorf zum Einkaufen gibt, dass du dorthin gehen kannst ... Der Kuss damals, das war dann wohl der gelebte Imperativ ...

Rietpitsch: Dann hätte ich aber von den Zeitungen nichts. Und von den gebuchten, aber nicht angetretenen Reisen. Von den ausgefüllten, aber nicht abgegebenen Lotto-Scheinen. Von den geliebten, aber verwehrten Menschen. Von den reservierten, aber nicht abgeholten Konzertkarten. Es geht auch um Besitz. Hawaii-Tänze können, ohne jemals außerhalb der Lehrstunden auch nur Ansatzweise die Hüfte zu schwingen.

In Gedanken führt Malaeika diese Aufzählung fort und stellt sich Rietpitsch vor, wie er Bücher bestellt, die er nie lesen wird, wie er Salat pflanzt, den er nie ernten wird (riesige Gewitterwolkenturm-Salatköpfe!), wie sich in seiner Wohnung Saftpressen, Gemüse-Schnitz-Werkzeug, Badmington-Schläger, Stricknadeln, Turbo-Bauchmuskel-Trainingsgeräte und ähnliches unbenützt stapeln müssen. Sie stellt sich vor, wie Rietpitsch in etwa drei Tonnen Erdbeeren zu Marmelade verkocht, die er nie probieren wird. Und weil sie dabei gedanklich so weit geht, dass der einkochende Rietpitsch mit Kopftuch und Schürze in der Küche Hula-Tänze vollführt, muss sie plötzlich und sehr laut lachen.

Rietpitsch: Ja, Sie lachen, lacht Rietpitsch nicht, aber ich brauche das. Ich besitze die vollständigen Lehrbuchsammlungen für vier Sprachen zu Hause, kann aber weder Swahili, noch Koreanisch, Norwegisch ist ohnehin zu laut und von Kaschubisch kenne ich nicht einmal den Ort, an dem es gesprochen wird. Manchmal, das ganz im Vertrauen, verkoche ich Riesenmengen von Brombeeren zu Marmelade, ohne auch einen Löffel zu probieren.

Malaeika lacht, ihre Augen weiten sich während Rietpitsch spricht. Aus beinahe wolkenlosem Himmel kommt gleichzeitig ein ebenfalls immer größer werdendes Kreisrund auf Malaeikas Kopf zu. Malaeika liegt ausgesteckt auf der Wiese, sie lacht nicht mehr, neben ihr ein Fußball.

Rietpitsch:: Treffer!

Eine Menge Geräusche auf dieser Wiese: Zirpende Grillen, grillende Männer, Mannschaften an Ballspielern, Spielzeug werfende Kleinkinder, nach den Kindern suchende Frauen. Durch die Ferne donnert die Eisenbahn. Allein. Kein Laut von Malaeika. Dann summende Fliegen, fliegende Bälle, legére Mädchen zu Zöpfen haargestrengt, strenge Mütter grätschen die Kleinen nieder. Dem Himmel als Datei angehängt, Flugzeugharöhrrr. Lautes Schmatzen von Rietpitsch.

Selbst als die Jugendgruppe der örtlichen Blasmusik in guter US-amerikanischer Tradition oft sternförmige Marschformationen zu "I can't get no satifaction" probt, ist bei Malaeika nicht die kleinste Rührung zu bemerken.

Rietpitsch: Hm.

 

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