Dienstag, 20. April 2004
das war gar nicht ich am Telefon, das war Susanne (Müngensdorf). Doch dazu später mehr.
Gezählte sechs mal habe ich Deinen Brief gelesen und zwar zunächst aus Interesse und zwar weil mich die Tatsache einer Nachricht von Dir nach alldem was war doch sehr verwundert hatte. So sehr, um genau zu sein, dass ich es mir auf dem Balkon mit Deinem Brief, der Katze der Nachbarin und einem großen Glas Zitronenlimonade zwanghaft bequem machte. Ungefähr nach dem zweiten Mal Lesen stellte ich fest, man hatte mich ins Freie gesperrt, die Balkontüre war von innen verriegelt worden. Als alle Zitronenkerne in die Gegend verspuckt waren und sich die Katze zwecks Vögeln über die Dächer auf und davon gemacht hatte, blieb nur mehr Dein Brief.
Ich mache mir Sorgen um dich und zwar exakt seit dem Moment, in dem mir einfiel, dass meine Mutter eine Innenarchitektin mit der Umgestaltung unserer Inneneinrichtung beauftragt hatte, der wohl die offene Balkontür missfallen war. Frau Montez gestaltet nun unser Wohnen und Frau Montez ist deine Nachbarin und Argentinierin, nicht Kubanerin, wie du meintest. Und ihre Söhne sind auch nicht in Kuba sondern quasi im Gegenteil: In der Schweiz.
Du scheinst sehr verwirrt zu sein.
Frau Montez hatte mir natürlich auch erzählt und zwar höchst ausführlich. Sie war höchst aufgebracht, denn höchst seltsamerweise wäre einige Tage hindurch ein Polizeiauto um ihr Haus gekreist und ein höchst eigenartiger Polizist hätte sich in einem beunruhigenden Ton nach dir erkundigt, erzählte sie beim Abmessen der Kaminzimmerbreite. Frau Montez hatte nur aus Sorgen um dich an deiner Tür wie wild geklingelt und Anlass zum Sorgen bestünde auch weiterhin, meinte sie vorhin ohne es näher zu erklären.
Sorgen machte sich auch Susanne und zwar um ihren Mann und zwar weil der gerade in Sizilien weilt. Dort tagt die Internationale Vereinigung der Obstsaftpresser (IAOFRUS) und stell Dir vor, Herr Müngensdorf stellt dort seine große Erfindung, den vollautomatischen Kiwi-Entkerner vor. Genau deswegen war er eingeladen worden und genau deswegen ist nun die Susanne das erste Mal seit 37 glücklichen Ehejahren allein, das heißt ohne Mann so wie ich.
Was für eine Aufregung: Die Erfindung, der Erfolg, der Kongress: Auf all das reagierte Susanne in ihrer praktischen Art und Weise und besorgte schnell zwei topmoderne Handys (das sind mobile, schnurlose Telefone), mit denen man sich nicht nur anrufen, sondern sogar Bilder von einander schicken kann. All diese Funktionen hatte sich die Susanne erklären lassen und all diese Funktionen hat sie dann geduldig ihrem Mann gezeigt und er hat das auch alles verstanden, bestimmt, glaubt sie. Und während sie ihm seine quadratische, lederne Reisetasche packte und dabei nicht darauf vergaß, das schönste ihrer zweihundert Fotos von der Hochzeit auf Bora Bora unter das fliederne Anzugshemd zu legen, rang er ihr das Versprechen ab, jeden Abend pünktlich um 20.30 seinen Anruf entgegenzunehmen.
Nur, Herr Müngensdorf rief nie an. Also griff die praktische Susanne kurzerhand zum handlichen Telefon und dann hob nach unzähligmaligem Klingeln eine Männerstimme ab, die nicht einmal als ein Herr Müngensdorf sturzbetrunken oder mit Kehlkopfentzündung durchgehen konnte. Sie schob das schnell auf die Entfernung. Doch all der Lärm im Hintergrund, das Klingeln, das Hämmern und dann über all dem noch eine Frauenstimme, die in einer Sprache um sich warf, die in Susannes aufgeregtem Ohr als Italienisch einging. In Wahrheit aber der argentinischen Frau Montez gehörte wie die Männerstimme zu dir. Das erfuhr die Susanne, deren aufgebrachten Gedanken natürlich von Mamma Mía über Mafia bis zu einer oder gar mehreren Maria reichten, Stunden später.
Erst musste ich mich nach dem leisen Verschwinden der Frau Montez mit deinem Brief in der Hand filmreif über die Regenrinne aus dem Gefangenenlager Balkon befreien und auf dem Rasen angekommen stand vor mir in Tannengrün in Polizist. Dieser hatte wohl die Kapuze meines neonorangen Pullovers als Tarnanzug, deine eng beschriebenen Seiten als Geheimakten und meine Abstiegskunst als Fluchtversuch interpretiert und verdonnerte mich an Ort und Stelle zu 50 Liegestütz, bevor er mich wie in Stück Rindvieh in das Polizeiauto verfrachtete. Als er mich auf der Polizeiwache nach meinem Namen fragte, erkundigte ich mich gleich zurück und er sagte: Hansen, mein Name.
Zusammenfassend: Du kannst dich an das Herkunftsland deiner Nachbarin nicht mehr erinnern, Du haltest Frau Müngensdorf am Telefon für mich, Du lässt dich von einem wahnsinnigen Polizisten beraten, der auf mein Fragen hin behauptet, er habe deinen Namen noch nie gehört. Und dann natürlich die Behauptung, dieser Fußballspieler wäre Dein Sohn, obwohl sein Nachname anders geschrieben wird und obwohl du doch zu jung für einen Sohn seines Alters bist, ach was, vielleicht will ich das auch einfach nicht wahr haben, ich weiß auch nicht.
Bitte verzeih, doch unter diesen Umständen bin ich mir nicht sicher, wie ernst ich Deinen Wunsch mich wieder zu sehen, nehmen kann, ganz abgesehen davon, ob ich das überhaupt möchte, Dich wieder sehen.
Terminlich würde mir der Donnerstag gut passen.
Mit besten Grüßen
Malaeika
PS: Herr Müngensdorf hat sich mittlerweile gemeldet. Er sagte nur, es gehe ihm gut, dann brach die Verbindung ab.
malaeika - am Dienstag, 20. April 2004, 01:21
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