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Eine U-Bahn Station, mittags. Wartende Menschen überall. Sie lesen Zeitung, essen. Die meisten stehen einfach nur herum. Aus der Tiefe ist das dumpfe Schleifen eines herannahenden Zuges zu hören.

Malaeika erscheint zuerst. Sie lehnt sich, mit ihrem Rucksack voran, an eine der breiten Säulen, streckt das linke Bein durch, hebt das rechte darüber, gibt nur die Fußspitze auf den Boden und drückt den Rist durch. Meterweit sind ihre gelben Schuhbänder zu sehen. Sie fächert sich mit den pinken Handschuhen Luft ins Gesicht, steckt sie dann doch gekonnt mit der rechten Hand nach hinten in den Rucksack. Erst jetzt sieht sie sich um. Sie formt den Mund, als würde sie Zigarettenrauch ausblasen, sie überlegt, einen der vorübereilenden Männer in Anzug durch eine kitzekleine Fußbewegung zum Stolpern zu bringen. Sie verschluckt sich am imaginären Rauch, als plötzlich Rietpitsch vor ihr steht. Ist das noch stehen? Wenn sich jemand auf die Hände stützt und die Beine auf Augenhöhe pendeln, verkehrt herum?


Rietpitsch: Guten Tag. Immer dann, wenn ich mir die Welt so geordnet habe, dass nichts mehr durcheinander geraten kann, alles an seinem Platz ist und die Plätze zu gewohnter Zeit jeder Beliebigkeit entrissen sind, bricht der Kopftumult aus und ich werde um mich geschleudert, selbst das einzige Drunter und Drüber inmitten des feststehenden Lebensprogramms. Also laufe ich auf Händen.

Malaeika versucht mehrmals etwas zu sagen, scheitert aber am Verschluckungshusten. In einem Höflichkeitsreflex (sie will dem Rietpitsch nicht auf die Füße husten) dreht sie den Oberkörper zur Säule hin, vergisst dabei, dass der Rucksack ihren Körperumfang beträchtlich erhöht hat. Sie hustet, dreht sich, der Rucksack schwingt in der Fliehkraft und streift so schnell die Schuhe des Rietpitsch, dass dieser erst schwankt, dann aber doch nicht umkippt, sondern sanft auf beiden Füßen landet. Rietpitsch hockt da wie ein Frosch, Malaeika wendet sich ihm zu.

Malaeika: Entschuldige! Hallo! Ich freu mich! Entschuldige! Geht's? Hast du dich verletzt? Wie schön! Wie eigenartig! Entschuldige! Soll ich helfen! Hab ich schon geholfen? Ist dein Lebensprogramm jetzt nicht offen? Entschuldige! Du! Ich bin so ungeschick! Ist alles in Ordnung? Ist jetzt wenigstens der Kopftumult vorbei? Deine Ohren sind rot! Möchtest du nicht aufstehen? Komm, ich helfe dir auf!

Rietpitsch: Guten Tag. Ja... Ja. Räuspert sich Es ist in bester Ordnung nun wieder das. Lassen Sie uns aber über den Menschen gehen. Es ist beruhigend zu wissen, dass es unterirdische Ebenen gibt, wie diese hier. Ja. In denen sich Menschen bewegen. Dass die Treppen, schauen Sie, dort drüben, lassen Sie uns gehen, ... dass die Treppen also uns Gerüste sind, über die wir zugleich zum Boden und zum Dach gelangen, unter dem unsergleichen wuseln, hin und her fahren, das finde ich ein wenig faszinierend. Guten Tag, lassen Sie uns über den Menschen gehen, haben Sie Schuhe für Hände mitgebracht?

Malaeika: Ja, habe ich. Sie sind pink und im Rucksack, ganz oben, kannst du, können Sie, kannst du mal eben...? Sie tänzelt sich schnell vor ihn hin, bleibt abrupt als Wand stehen Sie sind pink, man kann sie jedoch umdrehen, ganz einfach, dann sind sie oranger als Orangen. Weißt du, ob es Orangen ohne Kerne gibt? Entschuldige, ich spreche zu viel. Wofür brauch ich die Handschuhe? Und Treppen sind in der Tat faszinierend, ich kenne eine besonders lange in Lissabon, von der man glaubt, sie führe runter in die Stadt, doch sie endet ein Plateau darüber, sodass man weiter rauf muss. Dann kann man immer noch entscheiden, einen anderen Weg nach unten zu nehmen. Haben Sie die Handschuhe?

Rietpitsch richtet sich auf, steht nun hinter der jungen Frau, hinter dem Rucksack. Er schaut an sich herunter. Dreht die Hände mit Flächen nach oben. Orangenfarbene Handschuhe. Die rechte Hand ballt er zur Faust, hüstelt von oben in den Daumen hinein.

Rietpitsch: Das ist nicht... ich kann das nicht, wissen Sie...

Er greift nach vorne um Maleika und fächert mit der orangenbehandschuhten Hand vor ihrem Gesicht, sagt:

Rietpitsch: Scheibenwischer.

Malaeika schreckt kurz zurück, gerade kurz genug, dass sich ein

Malaeika: uouiiiiee!

sagen lässt. Dann lächelt sie übers ganze Gesicht, so lange (ziemlich lang!), bis sie - gänzlich ohne besorgtem Gesichtsausdruck, immer noch strahlend - die rechte Hand des Rietpitsch im Handschuh ergreift, losrennt, ihn hinterherschleifend zwei Treppen auf einmal nimmt, plötzlich stehen bleibt, ihn anlacht und sagt:

Malaeika: Schilift.

Rietpitsch schnell atmend:Sind Schilifte tatsächlich so anstregend? Meine Abneigung gegen Schnee befestigt sich. Aber kommen Sie. Wir müssen weiter. Warum diese albernen Schuhbänder? Habe ich Sie das schon einmal gefragt? Warum sind Sie eigentlich albern? Nun, schauen Sie nicht so! Kommen Sie. Wir werden erwartet!

Rietpitsch schwingt sich aus dem Stand heraus in einer einzigen, fließenden Bewegung auf die Hände und keift die Passanten an, ohne von ihnen wirklich behindert zu werden:

Rietpitsch: Gehen Sie aus dem Weg da! Sie Rüpel, passen Sie auf, wo Sie hinlaufen! Ich koohoommee! Achtuuung!

Malaeika: laut und mit einem weltmännischen Tremolo in der Stimme Meine Damen, meine Herren, Ladies and Gentlemen, sehen sie und staunen sie!...

In exakt diesem Moment fährt der Malaeika ein moderner Sportkinderwagen mitten in den Magen. Nur einem Mannschaftssportkader an Schutzengeln ist es zu verdanken, dass sie das höchst sportliche Kleinkind mittels des Wagens seines Geschwisterchens nicht die Treppe hinunter stoßen konnte. Malaeika krümt sich vor Schmerzen, rafft sich rasch auf, hält nach Rietpitsch Ausschau.

Rietpitsch: Kommen Sie, kommen Sie! Folgen Sie mir! Aber nicht ohne Handschuhe! Es liegt Glas auf der Straße und wir haben einen weiten Weg vor uns, kommen Sie.

Malaeika: Wo soll es hin gehen? So warte doch! Ich kann nicht, nicht auf Händen, schon gar nicht ohne Handschuhe! Die Handschuhe hast doch du!

Rietpitsch war gerade dabei einen verschreckten, blaßen Jungen zusammenzustauchen, der sich ihm mit offenem Mund auf drei Schritt angenähert hatte, bleibt dann aber stehen.

Rietpitsch: Was heißt, Sie können nicht auf Händen gehen?! Aber... Aber... die Schuhbänder...!

Malaeika fasst sich ein riesengroßes Herz, steckt sich das flatternde T-Shirt in die Hose, schnappt sich die Handschuhe, die aus Rietpischs Hosensäcken wegstehen wie pink-orange Ohren, schlüpft rein, hebt die Hände und das rechte Bein, hält aus irgendeinem Grund die Luft an und macht einen Handstand. Dass das gelingt!

Malaeika: Siehst du, schau, schau, schau! Ich bin ein Wunder! Ich kann alles! Ich habe ZAUBERHÄNDE!

Malaeika bewegt sich eine Hand vor die andere auf Rietpitsch zu. Erst langsam, dann immer schneller. Dann gar nicht mehr, denn der Länge nach liegt sie auf ihm drauf und hält sich den Bauch vor lauter Lachen.

Rietpitsch: Sie, Sie!!! Ich bin doch kein Schlitten! Rappelt sich auf. Sehen Sie! Die Leute schauen jetzt, es ist ihnen unangenehm! Stehen Sie bitte auf, wie sieht das denn aus! Sie ruinieren ja... sie machen ja... Nun stehen Sie mal auf, wir müssen die Sense kaufen gehen. Sie können gar nicht händeln, ich hätte es mir denken müssen.

Malaeika: Ich dachte, du wüsstest, es tut mir leid, ich habe mich so bemüht! Hätte ich gewusst, hätte ich geübt, bestimmt! Sensen gibt es vorne bei Familie Havlicek. Wer schneller dort ist bezahlt das Eis!

Malaeika sprintet los. Vielleicht weint sie ein wenig, vielleicht ist es der Gegenwind.

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